Kulturdings 2 – einzig sein wollen

Kulturdings 1 – kämpfen setzt sich fort:

Ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen und sie musste – ganz leise – zugeben: „So ist das nicht. Ich weiß, dass du mich liebst.“

Nun wirkte er irritiert und wiederholte: „Das verstehe ich nicht.“

„Ich weiß, dass du mich liebst!“, schrie sie ihm ins Gesicht und drehte ihm dann den Rücken zu. Ihm persönlich gegenüber zu stehen, machte das alles so kompliziert. Er brachte sie durcheinander.

„Ich will“, versuchte sie es noch einmal, „dass ich die einzige und wichtigste Frau in deinem Leben bin.“

„Das bist du.“ Er kam einen Schritt auf sie zu und sie spürte seine Präsenz in ihrem Rücken.

„Nein!“, schimpfte sie und entfernte sich von ihm. Sie wollte sich nicht einlullen lassen. Zwei Stunden lang hatte sie sich im Auto vorbereitet, das würde sie nicht alles durch sein Gesäusel vergessen. „Da ist noch eine andere.“

„Eine andere?“ Er konnte ihr nicht mehr folgen und den Bruchteil einer Sekunde lang hatte er ihr vollstes Mitgefühl. Doch sie konnte ihn nicht schonen.

„Deine ach so Große Mutter! Sie ist immer die Nummer eins für dich“, fauchte sie. „Ohne Sie tust du gar nichts.“

Als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen, schüttelte er den Kopf.

„Ohne Sie tut niemand etwas.“

„Stell dich nicht dumm! Ich kann gar nicht die wichtigste Frau für dich sein, weil Sie immer schon da ist.“

Er wurde blass. „Was verlangst du von mir?“

Sie hatte es vorher nicht gewusst, doch nun wurde ihr klar: „Ich verlange von dir, dass du auch mal dich oder mich wichtig nimmst. Wichtiger als Sie.“

„Ich… ich weiß nicht, wie das gehen sollte“, stammelte er.

„Ganz einfach. Du fällst eine Entscheidung und dann tust du das auch. So schwer kann das wohl nicht sein. Du musst nicht ständig Rücksprache halten oder Ihre Meinung einholen.“

„Aber…“

„Doch! Das geht!“, schimpfte sie.

„Das wäre“, erklärte er betrübt, „als würdest du von mir verlangen, dass ich ein intaktes Sinnesorgan aufgebe, um dir meine Liebe zu beweisen. Als… als solle ich meine Augen nicht mehr benutzen.“

Sie atmete heftig, fand den Vergleich ungerecht, wollte sagen, dass sie das natürlich nicht von ihm verlangen würde und gleichzeitig wollte sie, dass er genau das tat.

Er ließ den Kopf hängen und überlegte. Schließlich sah er sie mit einem wehmütigen Lächeln an. „Ich habe eure Kultur studiert, eure Märchen gelesen, die Geschichten und Lieder kennengelernt und Filme angesehen, die euch hier zu gefallen scheinen. Leider weiß ich nicht genau, woher dieser Drang kommt, dass der andere ein Opfer bringen muss, dass Liebesschwüre nur dann wertvoll sind, wenn einer tatsächlich sein Augenlicht für die Angebetete gibt oder sein Leben hinter sich lässt. Diese ganzen Forderungen nach Beweisen oder die Eifersüchteleien, das ist nicht Liebe. Das ist Angst. Angst zu verlieren und…“

„Ich habe keine Angst!“, bellte sie dazwischen. Sie würde sich hier nicht zu einem verängstigten Häschen degradieren lassen.

13 Kommentare

Eingeordnet unter a G'schichtle, ein bisschen Philosophie

13 Antworten zu “Kulturdings 2 – einzig sein wollen

  1. Das scheint ja interessant zu werden. Wann wirst Du denn die Kulturkreise verraten?

  2. Den beiden steht noch ein weiter Weg bevor.
    Und ein Weg,den viele nicht schaffen.
    Einer wäre – die unbestrittene oft vorhandene Muttervorherrschaft – auszugleichen, durch Toleranz und offenes Gegenübertreten.Eigenliebe wirkt hier nur zerstörend.
    Uhj,liebe Marga,hier gibst du uns eine harte Muss zu knacken…

    • du Eichhörnchen, du 🙂

      Eigenliebe zerstörend? Ich vermute, wir haben da ein unterschiedliches Verständnis zu diesem Wort.
      Eigenliebe kann in meinen Augen nicht zerstörerisch wirken. Wer zum wahren Selbst gelangt und dieses liebt, ist mit allem verbunden. Ein einsames Selbst gibt es dort nicht mehr.

      Ich kann allerdings nachvollziehen, was du meinst. An dieser anderen Stelle, da stimme ich dir zu.

      • Klug wie du bist,hast du genau das rausgefischt,was ich meinte.
        Ein Beispiel,ich kenne jemand,deren neuer Hund hat die Schwiegermutter umgeworfen.Diese hat sich dabei stark verletzt.Nicht mal ein Krankenhausbesuch erfolgte,weil,die hat ja ihren Sohn…Mehr kann ich dazu nicht sagen, ich bekomme sonst Schnappatmung.

      • manchmal kann man einfach nur tief durchatmen…

  3. Nuss, muss es heissen.
    Natürlich ist dem so.Nur, sieht die oder der (sich so verhält)ebenjenes wohl kaum,wage ich zu vermuten.

  4. „Wer zum wahren Selbst gelangt und dieses liebt, ist mit allem verbunden. Ein einsames Selbst gibt es dort nicht mehr.“

    Es gibt Tage, da denke ich tatsächlich, ich wäre so weit und am nächsten Tag stelle ich fest, dass ich immer noch ein Küken auf der Suche bin.
    Danke, für’s dran erinnern. 🙂

    LG
    Silvia

  5. zolaski_lz

    Welch tiefes Thema / Psychologie Fatal / und toll geschrieben. Danke

  6. Pingback: Kulturdings 3 – nicht genug | marga auwald

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