Aufhören zu warten

Das hat doch einer mal gesagt:
Ihr seid selbst die Menschen, auf die ihr immer gewartet habt.

Wirklich?
Ich auf mich?

Und was wollte ich von mir erleben?

Bequeme Fernsehabende und kaffeegetunkte Nachmittage?
Diskussionen über Zehennagellack und was ich zum nächsten Date trage?
Ärger wegen Radarstrafen und tägliche Gewichtsnotizen?
Wollte ich wirklich zehn Stunden am Tag nur sitzen?
Mich aus Liebe, die keine ist, quälen
und einkaufen aus überfließenden Quellen
voller Gier, Ignoranz und Rücksichtslosigkeit,
wo jeder dem anderen die Ohren voll schreit?
Die Ohren, das Herz, eine jede Zelle –
man rückt sich trotz Gartenzaun viel zu nah auf die Pelle.
Und dann auch wieder nicht.
Kaum einer hat für die andere noch ein Gesicht.
Stattdessen Kontostände, PS und neue Lippen.
Mal ehrlich: Ich träumte von uns Super-Zicken?

Also was wollte ich wirklich von mir erleben?

Vielleicht, dass ich alte Tagebücher mit einem Schulterzucken verbrenne,
dieses Vergangenheitszeugs, das ich in- und auswendig kenne,
Verknotungen daran schlicht trenne?

Vielleicht, dass in mir eine Freude brennt,
welche sich mit mir am Morgen aus den Federn stemmt,
jeden Tag zu einer neuen Wunderchance ernennt?

Vielleicht, dass ein großer Geist mich inspiriere
und ich daraufhin mich selbst nicht verliere,
wenn ich getrost in meine Richtung lebflaniere?

Vielleicht, dass ich suche ohne zu finden
und finde ohne mich an ein Einziges zu verschwenden,
weil mich künstliche Sonnen nicht mehr blenden?

Vielleicht, dass meine Liebe kein Synonym für Sex ist und Gartenzäune umnietet,
eine schräge Nase im anderen Gesicht nicht über meinen Tag gebietet –
völlig im Vertrauen eingemietet?

Vielleicht lasse ich das Leben selbst durch meine Pläne rauschen,
um der Stille nach dem Sturm in ihrer Ganzheit zu lauschen.
Ich würde kein Drama drumherum brauchen.

Das will ich erleben und so leben,
dass meine Seele nie vergisst zu schweben,
sich Zehen in die Erde bohren,
ohne diesen Halt wäre ich verloren.

Mein Ich-Sein also ein Paar von beidem
könnt ich’s erfassen, würd ich mich selbst beneiden.
Ob dem perfekten Spiel von rauf und runter,
wo es mal grau wird, wird es auch wieder bunter.

Wäre schön, ich würd diese Gewissheit nie vergessen.
Auf’s Suchen und Hadern wär ich nicht so versessen.
Ich würd tun, als sei alles gut,
nicht ständig vor Misstrauen und Unglück auf der Hut.

Doch heut steht es klar mir vor Augen,
die Gelegenheit lass ich mir nicht rauben.
Genieße den Tag, das Glücksgefühl, dieses Wissen –
das ist ein fabelhaftes Ruhekissen.

Noch vor dem nächsten Atemzug denk ich an das, was er mal gesagt:
Ich bin selbst der Mensch, auf den ich immer gewartet hab.

 

 

24 Kommentare

Eingeordnet unter ein bisschen Philosophie

24 Antworten zu “Aufhören zu warten

  1. Jeder von uns hat einen Teil Vergangenheit, an den er sich ungern erinnert.
    In meinem schrieb ich unendlich traurige Gedichte, die am Ende so gut waren, dass sie zum Druck bereit lagen.
    Das ich sie (bis auf ein schmales Heft) zerissrn habe, hat mich nicht zu einem neuen Menschen gemacht, aber mir selbst klar gemacht, das ich ein Mensch werden kann, den ich annehme. Mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
    Gute Worte von dir.
    Danke.

  2. ©lz

    Ein eindringlicher sehr guter Text. Ein Essenztext von der ersten Zeile an. Mit Nachhall und zum mehrmals lesen.

  3. Ach ja…meine ss beim das Schwäche…aber du kannst es auch so verstehen.

  4. Grandios einprägend! Das ist zum Mehrfachlesen und Verinnerlichen gedacht! Danke Dir

  5. ©lz

    Nachtrag: Hammertext

  6. wow, gefällt mir sehr!

  7. Sie befüllhornen uns mit Kleinstwahrheiten, die zusammen einen großen Erkenntnisberg ergeben. Keiner von den sich aufwölbenden, unquerbarerscheinenden, nein, ein sicher bepfadeter Berg, den es langsam aber stetig zu erfassen gilt.
    Ganz bonfortionöse Worte, meine Liebe, von denen ich mir einiges herausnehmen will, gerade heute, wo die Gefühle mal wieder dem Eiswind bei seiner Raschelblattumtreiberey gleichen.
    Ganz liebe Grüße, Ihre Käthe, rückenstärkend.

    • Liebste Käthe, warmschmeichelnd sind Ihre Worte. Vielen Dank dafür.
      Mögen Sie stets genug Röcke und Wollschals tragen, dass Eiswinde Ihnen nichts anhaben können außer einer belebenden Erfrischung!
      Stets die Ihre

  8. Tristan Rosenkranz

    Man möchte sofort mehr erfahren, fragen und vom Leben wissen, so ehrlich und offen und herz-lich ist es geschrieben.

    • Lieber Tristan, danke für deine Worte.
      Soweit die Pläne reichen, sollst du in absehbarer Zeit etwas von mir geschickt bekommen. Herz und Hirn arbeiten noch abseits des PCs daran.
      Herzliche Grüße, Marga

  9. waehlefreude

    Ungeliebte Wartezeit ist so ziemlich das zermübendste, was man erleben kann; besonders dann, wenn man nicht weiß, worauf man eigentlich wartet.

    Auf sich selbst braucht man nicht zu warten, denn man ist ja schon da; seltsam ist nur, weshalb man immer wieder dazu neigt, das zu verdrängen.

    Und das „Normalleben“? sicher ist es kaum das, worauf jemand gewartet hat.

    Tolle Zeilen von Dir!

    Liebe Grüße,
    Frank

    • Lieber Frank, vielen Dank für deine Worte hierzu. Im Moment komme ich nur selten hier vorbei aber deine Wünsche nehme ich gerne entgegen.
      Dir wünsche ich einen November, den du genießen kannst!
      Herzliche Grüße,
      Marga

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